Dienstag, 19. März 2024

Die kleinen Momente des Lebens - zweiter Plot

 

Zweiter Plot:

Supermarktkasse. Einkauf für Muttern. 10 Kilo feinster Dallmayr Prodomo im Einkaufswagen. Ja ja, gibt auch andere gute Sorten ... Ein alter Mann vor mir, ein alter Mann hinter mir. Ich erwarte nichts Gutes. Zumal ich "Zweite Kasse bitte!" gerufen hatte und nur knapp hinter Pole-Position hier stand. Gibt ja alte Menschen, die mit Gehstöcken vor deiner Nase rumfuchteln und dir Böses in Aussicht stellen. Auch wenn meine Ausstrahlung auf fremde Menschen eher die Variante "Pläuschchen? Why not", als "Verpiss' dich, Wichser!" ist. Rentner inklusive.

Der alte Herr vor mir sehr nett und interessiert an meinem Einkauf. Sonderangebot? Sein Gesicht vor meinem. Gaaaaanz nah. Ach so? Heute? Ja ja, Kaffee? Lecker lecker. Der Senior hinter mir ebenso. Nett. Nicht nah. Ach witzig, ich kaufe immer für meine Schwester mit ein. Grins. Sehr breites Grinsen. Man kommt schnell ins Gespräch über den feilgebotenen Kaffee und seine Gaumenfreuden. Vergleiche fliegen hin und her. Hier das Team Kaffee Hag, dort die Mannschaft Dallmayr. Team Hag fährt immer nach Holland und kauft dort günstig ein. Aber sagen Sie mal, mit der App gibt's Prozente? Das muss ich mir mal angucken. Hm, ja ja, ist ja alles so teuer geworden. Aber ein guter Kaffee geht immer. Dann mal alles Gute für die Mutter. Das Wetter ist ja so herrlich heute.

Jedenfalls. Während wir hier so gemütlich beieinander stehen, laufen vor meinem inneren Auge die alten Filme ab: Mitten am Kaffeetisch von Oma Änne, neben mir Onkel Martin, der gerade für Tante Gerda eingekauft hat und sich über ein Stück Kuchen freut. Alle lachen, schwätzen miteinander, der frisch aufgebrühte Kaffee duftet, Tante Marianne's Kuchen ist noch warm. Es werden Geschichten erzählt vom Büdchen um die Ecke, vom verrückten Fräulein Merzig, vom viel zu kalten Frühling und von Zeiten, in denen Butter noch Luxusgut war und die Kaffeekanne vor dem Befüllen mit heißem Wasser ausgeschwenkt wurde. Dann blieb er länger heiß. Die Sonne scheint durch's Wohnzimmerfenster.

Selten ging es mir nach einem Einkauf bei Lidl, und ja es gibt auch andere Supermärkte, so gut. Wärme im Bauch und Frieden im Herzen. Kaffee sein Dank!

Die kleinen Momente des Lebens - erster Plot

 

Erster Plot:

Feierabend. Mit dem Rad an der Ampel. 5 junge Damen, ebenfalls mit dem Rad, vor mir. Es wird gekichert, Outfits begutachtet (ich seh' nur bauchfrei und frierende Heimkehrerinnen): "Boah der Lockenstab ist mega!", "Leih mal.", sagt die mit der schwarzen kurzen Lederjacke. "Also ... ich habe einen Labello mit, meinen Stift, Geld und mein Handy", spricht eine andere und kramt in ihrem Stoffbeutel. Sie sagt es mit so einem Stolz, dass ich ihren Reichtum förmlich spüre. "Alter, wie lange darfst du?", fragt die Bauchfreie. "Heute ausnahmsweise bis 10", schallt es von rechts zurück. Alle jubeln.

Hach, wäre ich nochmal 13 und mit meinen Freundinnen auf dem Weg zur Kirmes! Wie gerne wäre ich erst um 10 Zuhause. Der neue Labello fühlte sich wie Luxus-Kosmetik an. Ich würde trotz viel zu kurzer Jacke im Winter nicht frieren. Das Leben wäre aufregend und schmeckte nach Zuckerwatte! Ich wäre reich. Reich an Freundinnen, an Erlebnissen und an Luxus-Kosmetik.

 


Mittwoch, 7. Februar 2024

Herr Stoppek und das Schüssler-Salz

 

Oh mein Gott! Lina hat gestern Ihre Fingernägel abgemacht! Die anderen beiden sind voll echt krass erstaunt. "Zeig!", "Boah, slay!" Lina grinst.

Maria geht mit ihrem Sohn und dem Enkel einen Receiver kaufen, damit der Laptop samt Anlage wieder läuft. Wäre ja doof, wenn sie erst einen Laptop mit nach Hause nimmt, und dann funktioniert das Ding nicht. Kann ich verstehen. Sohn und Enkel auch.

Herr Stoppek möchte der Dame mit dem roten Hut gerne etwas Gutes tun. Sie guckt etwas irritiert, weiß nicht so recht, was sie auf seine Frage antworten soll. Sie nimmt die Brötchentüte von der Theke und geht wortlos. Mir täte da eine Menge einfallen. Rückenmassage, Käffchen, nett was gekocht bekommen, Sex …

Und Schüssler-Salze. Unbedingt Schüssler-Salze kaufen. Gerade die Nr. 5 tut in diesen Zeiten so gut. Kalium. Da die Kundin mit dem kleinen Hund in der Tasche (wo sie den käuflich erworben hat, erschließt sich mir nicht) sich an allem entzündet. Ja, wir leben in einer schlechten Zeit. Den Fernseher will sie öfter mal ausgeschaltet lassen. Die kleinen Dinge sehen, vielleicht mal einen Marienkäfer. Die sind ja so putzig. Da freut man sich sofort. Gut für sich kochen, das hat sie sich fest vorgenommen. Ich empfehle da Herrn Stoppek, und ordentlich Schüssler-Salz dran. Dann isses doch rund. In diesen schlechten Zeiten. Vielleicht noch öfter den Hund aus der Tasche nehmen und einen ordentlichen Spaziergang draußen. Aber man steckt nicht drin. Also, der Hund schon.

Leo soll schon mal vorlaufen. Sie muss der Kollegin noch den Kopf waschen. Wie schön, dass ich jetzt auch weiß, dass Karin sich mal ordentlich wehren muss. So geht das doch nicht weiter. Wenn jeder meint, ihr auf dem Kopf rumtanzen zu müssen. Einen Gang weiter sind wir schon beim Anwalt. Dr. Sehberg aus dem Sentruper Viertel ist der Beste. Habe ich mir gleich notiert. Man weiß ja nie.

Inzwischen schwitze ich mich tot. Warum muss es in Einkaufzentren immer so furchtbar heiß sein? An der Kasse bekomme ich noch einen Traubenzucker geschenkt. Ich hasse Traubenzucker!!

 

 

 

Dienstag, 6. Februar 2024

Heute schon geschwommlaufen?

 

Das Dumme am Aufregen beim Autofahren ist, dass dich niemand hört. Wobei? Das kann auch sehr hilfreich sein, wenn man mal was rausschreien muss. In diesem Fall war ich seltsam gefangen im Unverständnis meines Hirns, das sich auf meinen Körper irgendwie mildernd auswirkte. Wahrscheinlich, weil das kleine blaue Auto da vorne so klein und so wunderschön blau war.

Es war schon fast putzig, wie das kleine blaue Ding die 4 dicken Karren (und mich) in Schach hielt, die sich hinter ihm aufhielten. Überholen verboten. Durchgezogene Linie. Also … tuck tuck ... hinterher. Mit 70 am Wald vorbei, 100 sind erlaubt. So sieht man mehr. Schöne Bäume hier, alles so dicht, so ruhig, so entspannend. Schöne Häuser. Nach 3 Kilometern immer noch schöne Bäume oder so.

Jetzt biegt es auch noch in die Straße ab, in die auch ich muss. Also weiter mit „Tempo“ 40 auf einer 70er Landstraße. Das nenne ich mal sportlich. Nach unten gedacht. Nochmal schöne Bäume gucken. Es wäre viel schöner, im Frühling hier langzugondeln, wenn das junge Grün sprießt. Aber leider ist Februar. Ein laaanger, düsterer Monat. Kalt, grau, sich zäh hinziehend und eine echte Herausforderung.

Dorfschild.Tempo 30. Es fährt 10. Jetzt fahr endlich du blöde Kuh!!! Kann doch nicht so schwer sein! Alle meine Mitstreiter sind irgendwohin abgebogen. Ich tuckere alleine einer wahrscheinlich urmelalten Dame in einem urmelalten Auto hinterher. Ich fasse es nicht! Jetzt fährt die im Kreisel auch noch da raus, wo es zum Schwimmbad geht! Wenn die gleich aussteigt, mache ich sie fertig! Wenn wir auf dem Parkplatz zu stehen kommen, kann die sich was anhören!

Sie steigt aus. Ich steige aus. Vorbei ist’s mit meinen kriegerischen Plänen. Wie Butter in der Sonne schmilzt mein kaltes Herz. Aus dem kleinen blauen Autochen steigt eine kleine alte, grauhaarige Dame aus. Rotes Mützchen, bunter Schal, blaue Kordhose, gelbe Gummistiefelchen. Alles so en miniature.

Ich bin augenblicklich fasziniert von ihrem herrlich freundlichen Gesicht. Hunderte Lebensfalten und –fältchen durchziehen ihre wunderschöne Aura. Sie lächelt mich an. Na gut, für heute lasse ich es noch mal gut sein.

20 Bahnen im Wasser später kommt sie in die Schwimmhalle geschneckt. Zwei runde Styroporplatten unter die Füße geschnallt, ein rechteckiger Styropor-Ponton auf dem Rücken. Sie sieht aus wie eine Schildkröte, die im Flamingo-Gang zum Becken stackst. Gespannt beobachte ich, wie sie sich an der Leiter zu Wasser lässt. Nicht um zu schwimmen, wie sich gleich rausstellen wird. Nein, um im Wasser zu laufen.

Alter! Gut dass es nicht meine Bahn ist.


 

 

 

Mittwoch, 15. November 2023

Das letzte Drittel - Die Ohren

 

Ich wünsche mir, dass meine Ohren nicht ständig wie fremdgesteuerte Mini-Kohlköpfe weiterwachsen. Fehlanzeige. Da stehst du vor dem Spiegel und denkst: „Sie wachsen. Sie wachsen doch!“ Nix mehr mit: „ich mag meine kleinen Ohren“. Wobei … früher sagte man, Menschen mit kleinen Ohren seien dümmer als Menschen mit großen Ohren. Ich hab’s echt geglaubt. Niemals war jemand von einer Thesen-Behörde mit einem Zentimetermaß an meinen Lauscherchen. Aber ich habe es geglaubt und mich jahrelang für ein bisschen dumm gehalten.

Mittlerweile verabschiede ich mich jeden Tag vor dem Spiegel ein bisschen mehr von meinen kleinen Öhrchen. Trotz Dummheit habe ich sie gemocht. Nun wachsen sie. Warum und wohin? Keine Ahnung. Sie tun es einfach. Irgendjemand am Steuerpult meines Körpers hat den Knopf „Ohren. Wachsen. Ein!“ gedrückt. Ob’s was mit Schlau-Werden zu tun hat?

Jetzt bin ich nicht die große Schmuckträgerin. Aber den aufkeimenden Entfaltungswunsch meiner Ohren betrachtend, denke ich: „Oh Gott, lass‘ mich keine Alte mit Riesenohrläppchen werden, die am unteren baumelnden Lappen überdimensionierte Talmisteine oder buntes Gebimmsel trägt“. Ganz wichtig: Dabei mit großer schwarzer Brille und roten Fingernägeln an verknöcherter Hand böse dreinblickt. Meine Vorstellung von einer „Alten“ eben. Nun denn, vielleicht greife ich dann jetzt in der Mitte (Mathe 4-) meines Lebens zu Ohrschmuck. Dann sieht es am Ohr schonmal hübsch aus, während es vor sich hinwächst. Kleine zarte Perlen an wachsenden Lappen. Wäre vielleicht auch was für unten rum.

Ich betrachte meinen Körper und frage mich: „Was‘ das los?“ Wir waren nie so dicke. Er sprach wohl zu mir. Ich habe es meistens überhört. Dann schrie er, mit Schmerzen. Da musste ich hinhören. Aber schönheitsmäßig? Er war einfach da. Hat funktioniert, sah ganz passabel aus. Bis auf die Knubbelknie. Jetzt ist es so, als rufe er sich sich Schrittchen für Schrittchen, penetrant nervend und leise schelmisch lächelnd in Erinnerung. „Guck‘ mal, was ich mit deinen Ohren machen kann. Hö hö. Btw … heute schon das arthritische Knie gefeiert?“

Ich gehe successive dem Verfall entgegen. Häppchenweise. Dass es gerade noch zu ertragen ist. Haben schon viele Menschen vor mir gemacht, werden noch viele nach mir erleben. Mein Körper lächelt. Macht einfach weiter mit seiner perfiden Folter. Wissend, dass ich an ihm nicht mehr vorbeikomme. Aufmal bin ich eitel. Ich hasse es, an Attraktivität zu verlieren. „So!“, ruft es von Innen, „nimmste mich doch mal wahr? Dankeschön!“ Ja, bitteschön! Ich bin ja keine Claudia Schiffer. Aber das bisschen Schönheit kannste mir doch wohl lassen!

Es bröckelt. Ich werde alt, noch bevor ich richtig gemerkt habe, dass ich jung war. Mein Körper spult sein Programm ab. Ich sitze in der 1. Reihe und gucke zu. Ohne Eintritt, ohne Popcorn. Wenn ich schon da sitzen muss, dann mit grellem Zeug: Großer Schmuck an großen Ohren, Talmi as Talmi can! Rote Farbe auf alten Lippen, Make up in tiefe Falten. Frisuren, so groß wie Wagenräder. Klamotten, die grell und bunt schreien: „Ich werde alt! Guckt ruhig. SO sieht das aus!!“ Ich bade nicht in Beige, Mauvetaupeschlammsand oder gedecktem Grau.

Frauen werden alt. Männer werden alt. Punkt. Der einzige Unterschied? Männer waren vorher schon oft nicht „schön“.

Duden: schön

/ʃøːn,schö́n/

Adjektiv

  1. 1a.

von einem Aussehen, das so anziehend auf jemanden wirkt, dass es als wohlgefällig, bewundernswert empfunden wird

"ein schöner Mann"